Es ist ein Dienstagabend Anfang Juni in der Großen Neugasse im 4. Wiener Gemeindebezirk. Die Sonne steht tief über der Stadt, auf den Tischen im Schanigarten klirren Gläser. Der Klang von Lachen und Gesprächen vermischt sich mit dem leisen Scheppern von Tellern. Auf einem kleinen Holztisch landen drei Kroketten – knusprig, goldbraun, gefüllt mit Schweinskopf, Beurre blanc und einem Tropfen Liebstöckelöl. Daneben steht ein Glas spanischer Schaumwein. Der Moment fühlt sich schwerelos an. Willkommen im Frigo, einem neuen kulinarischen Treffpunkt, der mehr sein will als nur ein weiteres Lokal in Wien.
Von einer Freundschaft zur Vision
Hinter dem Frigo stehen zwei Männer, die sich seit zwölf Jahren kennen – Philip Radakovits und Florian Villiger. Was als Freundschaft begann, entwickelte sich über Jahre zu einer gemeinsamen Vision. Beide sammelten Erfahrungen in der gehobenen Gastronomie, reisten, lernten, führten Küchen oder Gäste durch Michelin-Häuser und Luxushotels. Und doch blieb da immer diese Idee: ein eigenes Lokal. Kein Ort mit steifer Tischkultur oder elitärem Zugang. Sondern ein Restaurant, das lebt – durch Begegnungen, durch Qualität, durch Atmosphäre. Die Entscheidung, das ehemalige Alma Gastrothèque zu übernehmen, fiel im richtigen Moment. Der Raum in der Großen Neugasse 31, mit seinem charmanten Mosaikboden, den hohen Fenstern und dem städtischen Schanigarten, bot genau das, was sich die beiden vorgestellt hatten. Statt alles zu verändern, beschlossen sie: Wir fügen hinzu. Nicht umzukrempeln, sondern weiterzuerzählen. So wurde aus Alma das Frigo – ein Name, der leicht klingt, freundlich und unkompliziert.
Aperitivo in Wien-Wieden
Täglich ab 16 Uhr beginnt im Frigo der Abend mit einem Aperitivo – eine Einladung zum Ankommen, zum Durchatmen, zum Loslassen des Tages. Die Stimmung ist entspannt, das Licht im Gastraum warm, der Schanigarten langsam gefüllt. Es ist diese Stunde zwischen Alltag und Abend, in der man noch nichts entscheiden muss, aber schon genießen darf. Auf der Karte stehen Kleinigkeiten, die in ihrer Schlichtheit überzeugen und dabei handwerklich präzise gearbeitet sind. Sauerteigbrot mit Butter und einem überraschend intensiven Fencheldip, Anchovis auf samtigem Paprikacoulis – und natürlich die inzwischen legendären Kroketten, die sich längst als heimlicher Favorit der Gäste herausgestellt haben. Mal gefüllt mit Schweinskopf, mal mit Räucherforellencreme und einem Hauch Kren, stets hausgemacht, knusprig ausgebacken, innen zart – und mit 8,50 Euro für drei Stück nicht nur geschmacklich, sondern auch preislich eine erfreuliche Ausnahmeerscheinung in der Wiener Gastronomie.
Dieses bewusste Verhältnis von Qualität und Zugänglichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Konzept. Das Frigo versteht sich als modernes Bistro mit offener Seele – gehoben in der Ausführung, aber nicht im Ton. Keine überhöhten Preise, keine komplizierten Speisekarten, keine Schwellenangst. Stattdessen: gutes Essen, klare Handschrift, lockere Atmosphäre. Ein Ort, an dem man sich schnell zuhause fühlt – ob für ein Glas Schaumwein nach der Arbeit oder für ein ausgedehntes Menü in Gesellschaft.
Eine Küche, die teilt
Chefkoch Florian Villiger, der sein Handwerk unter anderem bei den Schweizer Spitzenköchen Sven Wassmer und Patrick Mahler verfeinert hat, bringt seine Erfahrung aus der Spitzengastronomie in die Küche des Frigo ein – allerdings ohne dabei verkopft zu wirken. Seine Gerichte sind klar gedacht, kreativ komponiert und manchmal mit einem verspielten Twist versehen, ohne je überladen oder effekthascherisch zu sein. Die Speisekarte ist bewusst reduziert – sie setzt auf saisonale Produkte, regionale Herkunft und einen starken Fokus auf Gemüse. Viele Gerichte kommen ganz ohne Fleisch aus, oft auch ohne tierische Produkte. Vegetarisch oder vegan zu kochen ist hier kein Marketingtool, sondern eine kulinarische Haltung.
Ein zentraler Gedanke dabei ist die Geselligkeit – viele der Speisen sind so konzipiert, dass man sie teilen kann. Das fördert Gespräche, Austausch und das gemeinsame Erleben von Aromen. Auf der Karte stehen etwa Ceviche vom Eismeersaibling mit Rhabarber und einem Hauch Safran, Zucchini-Fritter mit würziger Harissa oder eine sommerliche Variation von Gazpacho, bei der Paradeiserwasser, Wassermelone und Stangensellerie miteinander in Dialog treten. Alles leicht, frisch und darauf ausgelegt, mehrere Gabeln zu ermöglichen – von einem Teller, für mehrere Menschen. Ab 18 Uhr erweitert sich das kulinarische Angebot: Dann können Gäste à la carte wählen oder sich für ein mehrgängiges Überraschungsmenü entscheiden. Letzteres ist besonders bei jenen beliebt, die sich ganz auf das Können des Küchenteams einlassen möchten – ohne Entscheidungen, aber mit vielen Eindrücken. Ein Abend, der sich von Gang zu Gang entfaltet, begleitet von passenden Getränken und einer angenehm unaufgeregten Atmosphäre.
Wein mit Herkunft, ohne Etikettenprotz
Was Philip Radakovits mit der Weinkarte des Frigo geschaffen hat, entzieht sich klassischen Kategorien – und genau das macht ihren Reiz aus. Sein Zugang ist europäisch geprägt, persönlich und voller Charakter. Wurzeln im Burgenland, Familie in Spanien, enge Verbindung nach Deutschland – diese Vielschichtigkeit spiegelt sich im Sortiment wider. Im Frigo sucht man vergeblich nach überteuerten Prestigeweinen oder internationalen Standardetiketten. Stattdessen dominiert eine Auswahl, die auf Entdeckungen setzt: biodynamische Weine, eigenständige Schaumweine mit Profil und Orange Wines, die durch ihre Struktur und Aromatik besonders gut mit den aromenreichen, geteilten Speisen harmonieren. Viele der Weine stammen von kleinen, oft wenig bekannten Winzerbetrieben, deren Arbeit im Einklang mit Natur und Terroir steht.
Dabei geht es nicht um Insidertum oder elitäres Wissen. Vielmehr um Zugänglichkeit, um Lust am Probieren – und um das Vergnügen, neue Kombinationen zu entdecken. Für Neugierige werden regelmäßig Gläser zum Probieren eingeschenkt. Die Karte ist lebendig, sie verändert sich mit den Jahreszeiten, mit den Entdeckungen des Teams, mit dem Feedback der Gäste. Auch abseits des klassischen Weinspektrums bietet das Frigo Spannendes: hausgemachter oder importierter Wermut, teils pur, teils als Aperitif serviert, erweitert das Trinkvergnügen ebenso wie alkoholfreie Alternativen. Fermentierte Kräuterlimonaden, intensive Fruchtauszüge, fein abgestimmte Teemischungen – alles hausgemacht, durchdacht, niemals bloße Ersatzlösungen, sondern ein eigenständiger Bestandteil der Frigo-Erfahrung.
Ein Ort, der dazugehört
Man merkt dem Frigo an, dass hier kein Konzept „aus dem Lehrbuch“ umgesetzt wurde, sondern dass es mit Leben gefüllt ist. Das zeigt sich nicht nur am Teller oder im Glas, sondern auch im täglichen Miteinander. Die Atmosphäre ist offen, fast familiär. Stammgäste aus der Nachbarschaft kommen auf ein Glas. Spaziergänger – wie Irish-Wolfhound Shelby – bekommen ihr Leckerli. Und wer neu ist, wird schnell Teil dieser kleinen Frigo-Welt, die sich irgendwo zwischen Wien, Barcelona und Zürich einpendelt. Der Schanigarten, das freundliche Licht im Gastraum, das zurückhaltend schöne Design – all das ergibt zusammen ein Gefühl von Zugehörigkeit. Man muss nichts „verstehen“, um sich im Frigo wohlzufühlen. Es reicht, offen zu sein für neue Kombinationen, gute Gespräche und diese eine perfekt frittierte Krokettenkugel.
In einer Stadt wie Wien, wo das kulinarische Angebot groß und oft hochstilisiert ist, hebt sich das Frigo auf sympathische Weise ab. Hier geht es nicht darum, besonders zu sein – sondern besonders gut. Mit Authentizität, mit Erfahrung, mit Freude am Gastgebersein. Radakovits und Villiger ist gelungen, was viele versuchen: ein Lokal zu schaffen, das sich weder anbiedert noch abgrenzt. Sondern eines, das sich ganz natürlich in die Stadt einfügt. Ein Besuch im Frigo ist wie ein guter Abend mit Freunden: unkompliziert, voller Geschmack, mit einem Glas zu viel – aber keinem zu wenig.
Frigo
Große Neugasse 31, 1040 Wien
+43 681 20 11 33 11
Di – Do, 16:00 – 23:00 Uhr | Fr – Sa, 16:00 – 24:00 Uhr